Tourdatum: 19.06.2004 - 26.06.2004
Kategorie: Ausbildung
Ort/Region: Val Gardena / Grödnertal
Teilnehmer: Berthold Honka (Leitung), Thomas Brugger, Andrea Diefenbach, Jürgen Edinger (Sepp Knallfrosch), Harald Fellinghauer, Heike Geis, Anke Müller, Annette Müller, Weert Popken, Lutz Sackmann, Christian Schmidt, Jens Schneider, Anja Vehre, Andrea Wengel (Autorin), (der große) Jürgen Zuck
Beschreibung: Der Grundkurs Alpin ist eine 4 jährige umfassende Alpinausbildung, die für die Mitglieder der DAV Sektion Mainz angeboten wird. Der Ausbildungszeitraum ist aufgeteilt in diverse theoretische und praktische Lehrgänge, dieser Bericht betrifft die Ausbildungswoche Fels in den Dolomiten im Sommer 2004. Nähere Informationen zum Grundkurs Alpin auf der Internetseite des DAV Mainz: http://www.dav-mainz.de
Bemerkung: Dieser Erlebnisbericht ist der Bericht von Andrea Wengel, der auch auf der Hompage des DAV Mainz zu dieser Ausbildungs-Woche veröffentlicht wurde.

19.06.2004 Mainz - Chiusa/Klausen - St. Christina (Grödnertal) - Regensburger Hütte (2037m)

Anreise: "Entweder für den Preis oder sie lassen es" (ein freundlicher Taxifahrer)

Der Tag der Anreise beginnt für uns mitten in der Nacht. Lektion eins: Wer einen Grundkurs Alpin machen will muss wissen, dass Bergsteigen nichts für Langschläfer ist. Gegen fünf Uhr in der Früh setzt sich unser Zug in die Dolomiten in Bewegung. Gegen zwei kommen wir in Clausen an und suchen eine Busverbindung nach St. Christina. Wir suchen am Samstag vergebens. Statt dessen finden wir einen Taxifahrer, der für die Reise in seinem Minibus einen unverschämten Preis verlangt. Aber eine wirkliche Alternative haben wir nicht. Während der Fahrer leidenschaftslos die steilen Serpentinen "raufbrezelt" sind Bertholds diplomatische Preisverhandlungen tatsächlich erfolgreich. Lektion zwei: vertraue deinem Bergführer, nicht dem Taxifahrer. In St. Christina treffen wir auf die Autofahrer unserer Gruppe und beginnen gemächlich den knapp 2-stündigen Aufstieg zur Regensburger Hütte (2037m). Übrigens eine Berghütte in Luxusausstattung: heiße Duschen, vernünftige Betten, Heizstäbe für die nassen Klamotten - und jeden Abend ein Drei-Gänge-Menü. Nebenbei schafft der Hüttenwirt noch einen Fernseher bei. Heute ist Fußball-EM: Deutschland gegen Lettland. (Es wird nur ein enttäuschendes 0:0).

20.06.2004 Regensburger Hütte - Piz Duleda (2909m) - Piera Longia - Regensburger Hütte

"Manchmal ändert sich so ein Wetter die ganze Woche nicht" (Unkerei von Bertold)

Es regnet. Und wie! Wir verschieben unseren zeitig geplanten Abmarsch zum Piz Duleda (2909m) um eine Stunde und frühstücken erst einmal ausgiebig. Dann wird zum Aufbruch gerüstet. Wir pellen uns in die Regenjacken und Überhosen und treten vor die Tür - da reißt der Regen plötzlich ab. Unterwegs wird es uns ziemlich warm und wir ziehen die Regenklamotten wieder aus. Ein Fehler. Die Himmelsschleuse öffnet sich erneut. Noch 100 Höhenmeter und wir waten die Forcella de Sielles (?) Scharte durch tiefen Neuschnee hinauf. Bei 2505 Metern erreichen wir in dichtem Schneegestöber den Einstieg in den Klettersteig zum Piz Duleda. Den schenken wir uns. Nebel und Schnee nehmen uns die Sicht. Rückzug! Bergab die Materialschlacht, Jack Wolfskin konkurriert mit Mammut, Odlo mit Salewa. Bei 2100 Metern angekommen ist trotz allem keiner von uns mehr trocken. Anke und Lutz sind so durchgefroren, dass sie zur Hütte zurückkehren. Wir anderen lassen uns von Bertholds Überredungskünsten einwickeln, der eine "Trockenlauf-Runde" vorschlägt. Als Schnee und Regen endlich mal Pause machen nutzen wir diese Zeit am Piera Longia. An den Kletterfelsen üben wir den Aufstieg am Seil mit Reppschnur und Abseilen am Achter. Leider dauert es nicht lange, da wird es wieder nass von oben. Wie schön, dass wir von hier aus nur 40 Minuten zur Regensburger Hütte brauchen und uns dort eine heiße Dusche erwartet. Während des Abendessens reißt dann endlich der Himmel auf und wir bestaunen einen herrlichen Regenbogen über dem Langkofel.

21.06.2004 Regensburger Hütte - Sas Rigais (3025m) - Piera Longia - Col Raiser - Regensburger Hütte

"Wir machen es uns da oben richtig gemütlich" (Berthold am Sass Rigais)

Heute steht der Sass Rigais (3025m) auf dem Programm. Der Felsgigant ist der höchste und auch der am meisten bestiegene Berg der Geisler-Gruppe. Um sieben Uhr machen wir uns auf den Weg. Die Wetterprognosen sind günstig, der Himmel blau und wir gut gelaunt. Zum Einstieg in den Klettersteig müssen wir uns eine lange Scharte hinauf arbeiten. Gewöhnlich geht es hier im Juni im Zick-Zack-Kurs über Geröll. Heute geht es durch tiefen Schnee. Kaum haben wir uns bis zum ersten Plateau hochgearbeitet, da zieht es wieder zu. Vereinzelte Nebelschwaden, Wind und Schneeschauer machen die Aktion ungemütlich. Die Felsen sind schneebedeckt und leicht vereist und Berthold legt vorsichtshalber Seile. Eigentlich sind wir gar nicht so sicher, ob wir bei diesen Verhältnissen weiter wollen. In dem eiseigen Wind klappern zudem bei einigen die Zähne lauter als sämtliche Karabiner, die an unseren Gurten hängen. Aber Bertholds Überredungskünste wirken auch diesmal. Einer nach dem anderen arbeiten wir uns seilgesichert zum nächsten Plateau. Hier frieren wir weiter, bis das nächste Seil gelegt ist. Kurze Zeit später beschließen wir dann doch wie am Vortag den Rückzug. Nach einer gemeinsamen Rast am Fuße des Sass Rigais steht der Nachmittag zur freien Verfügung. Berthold, Annette, Jens und Weert steigen noch einmal in der Mittagsscharte Richtung Sass Rigais auf. Andrea D., Andrea W. Anja, Heike und Christian zieht es zur Hütte Col Raiser zu Kaffee und Kuchen. Die anderen wollen sich noch einmal im Piera Longia Klettergarten austoben. Am Abend haben wir wieder strahlend blauen Himmel. Ob wir wohl diesmal etwas davon in den nächsten Tag retten können?

22.06.2004 Regensburger Hütte - Piza Scharte (2489m) - Stevia Hütte (2312m) - Sylvesterscharte (2280m) - Regensburger Hütte

"Heute machen wir einen Erholungstag" (Berthold)

Hält das Wetter? Wir wollen heute die Piza Scharte (2489m) in Angriff nehmen. Von der Hütte aus haben wir die steile Rinne mit der markanten Felszacke schon gebührend bewundern können. Jetzt soll sie zum Trainingsterrain werden. Um halb neuen sind wir unterwegs. Am Einstieg zur Scharte teilen wir uns in Gruppen auf. Diesmal kommt uns der viele Schnee sogar entgegen. Wir üben in der Seilschaft gehen und am Fixseil klettern mit wechselndem Vorstieg und Nachsichern. (Stelleweise versinken wir bis zu Hüfte in der weißen Pracht). Sackstich, Achterknoten, Prusikknoten - nach 6 Seillängen funktioniert das mit den Knoten schon recht routiniert. Am Ausstieg sind die Berggipfel schon wieder von tiefen Wolken umgeben. Schade, von hier oben hätte man nämlich einen herrlichen Rundblick. Aber wenigstens bleibt es an diesem Tag trocken. Eine halbe Stunde später legen wir auf der Stevia-Hütte (2312m) eine ausgiebige Pause ein. Und - ist es möglich? Mühevoll kämpft sich die Sonne durch die Wolken. Der Rückweg führt über die Silvesterscharte (2280m). Hier wartet noch eine Abseilübung auf uns. Einen kleinen Teil der gut ausgebauten Serpentinen überwinden wir einer nach dem anderen am 60-Meter Seil. Während des weiteren Abstiegs gibt es dann auch endlich mal was zu gucken. Die Sonne kommt durch und wir genießen die Aussicht auf die Hochplateaus der Skigebiete, über St. Christina bis zur Seiser Alm und den Langkofel mit seiner Wolkenmütze. Wir erreichen unser Refugium erst gegen halb sieben (doch ja, wir haben uns schwer erholt an diesem Tag!). Dort gibt es nach üppigem Menü wieder einen Fernsehabend: bei der EM scheidet Italien in der Vorrunde aus. So`n Pech!

 

23.06.2004 Regensburger Hütte - St. Christina - Sellajoch (2214m) - Toni Demetz Hütte (2681m)

"So viel Schnee im Juni gab es in den letzten 25 Jahren nicht mehr" (ein Einheimischer)

Ja, das glauben wir gerne. Toni Demetz hat nämlich nicht das Holz vor der Hütten, dafür Unmengen Schnee. Umgeben von meterhohen weißen Wänden wirkt die Demetz-Hütte (2681m), als sei sie erst vor Kurzem ausgegraben worden. Was ja auch stimmt. Wir haben am Morgen um acht unser Luxusrefugium Regensburger Hütte verlassen und sind nach einer kurzen Shopping Tour in St. Christina mit dem Auto zum Sellajoch (2214m) gefahren. Von dort aus ging es anderthalb Stunden rauf zur Demetz-Hütte. Unser neues Zuhause ist viel kleiner und recht spartanisch. Nix mit Duschen oder gar Heizkörpern in den Zimmern. Und es bleibt ein kalter Juni. Im Tal scheint zwar die Sonne, aber wir tauchen hier oben mal wieder in den Nebel ein. Dichte graue Wolken sacken in die Langkofelscharte ab. Nachmittags treffen wir uns hinter der Hütte an einem Kletterfelsen. Der Fels ist griffig, wenn auch etwas bröckelig, wie es für die Dolomiten typisch ist. Berthold, Harald und Thomas legen verschiedene Routen und wir üben Topropekletten und Abseilen am Achter. Das Wetter bleibt indes abwechslungsreich: Sonne und Wolken. Um uns herum tiefer Schnee, ein herrlicher Wintertag im Juni - das muss einem erst mal geboten werden! Am Abend fällt die Temperatur auf frostige 6 Grad - und Anke ist glücklich über ihre brandneue Outdoor Jacke.

24.06.2004 Toni Demetz Hütte - Langkofelhütte - Einstieg Oskar Schuster Steig - Sellajoch - Toni Demetz Hütte

"Da kann was passieren, man muss nur mal abstürzen" (Frotzelei von Christian)

Klar, theoretisch kann es einen auch direkt vor der Hüttentür hinschlagen. Bei den aktuellen Wetterverhältnissen sowieso. Aber praktisch überlegen wir uns schon, ob es Sinn macht, den Oscar-Schuster-Steig in Angriff zu nehmen. Wir beschließen eine Erkundungstour bis zum Einstieg. Unter großem Gejohle sprinten wir durch den Schnee die steile Langkofelscharte hinab. Irgendwann saust Harald bäuchlings an uns vorbei uns hat seinen Spaß. (Der Große) Jürgen fährt plötzlich auch auf dem Bauch weiter - allerdings unfreiwillig - und hat keine Brille mehr. Aber wir haben Berthold - und der hat kurze Zeit später Jürgens Augengläser in der Hand. An der Langkofelhütte machen wir ausgiebig Rast. Heute ist das Wetter auf unserer Seite, die Sonne scheint und wir genießen die Wärme. Gegen Mittag arbeiten wir uns einmal mehr eine steile Geröllpiste im Tiefschnee hoch. Der Einstieg zum Oscar-Schuster-Steig bestätigt unsere Vermutung. In den Rinnen liegt noch reichlich Schnee. Laut der Hüttenwirte hat dieses Jahr auch noch niemand den Steig passiert. Auch wir steigen wieder ab, an der Langkofelhütte vorbei und umrunden die Langkofelgruppe zurück zum Sellajoch. Unterwegs schlägt Berthold vor, morgen sehr früh aufzubrechen und mit Seilen im Gepäck den Steig zu versuchen. Falls das Wetter hält.

 

25.06.2004 Toni Demetz Hütte - Plattkofelhütte - Plattkofel (2965m) - Oskar Schuster Steig - Langkofelhütte - Toni Demetz Hütte

"Nix für Weicheier" (Gruppen-Slogan)

Nachts um drei Uhr steht Berthold auf und prüft die Wetterlage. Es ist regnerisch. Er beschließt, zum Plattkofel-Gipfel nun doch von der leicht begehbaren Südseite aufzusteigen, statt wie geplant über den Oscar-Schuster-Steig. Um kurz nach drei ist allgemeines Wecken. (Der große) Jürgen und Christian dürfen weiterschlafen. Jürgen hat einen leichten Wandertag beschlossen. Christian muss zerknirscht wegen starker Knieschmerzen passen. Die Stirnlampen lassen unsere verpennten Gesichter gnädig im Halbdunkeln. Der entgültige Weckruf kommt schließlich aus dem Wasserhähnen - wir werden eiskalt daran erinnert, dass der Berg ruft. Auch der Koch hat sich tapfer aus dem Bett geschält und versorgt uns mit einem üppigen "Candle-Light"-Frühstück. Es ist schon nach vier als wir im Schein der Stirnlampen raus in den 4°C kalten Nebel stiefeln. Eigentlich ein bisschen zu spät, es fängt kurz drauf an zu dämmern. Über uns sind schon die Schatten der Seilbahngondeln zu erkennen. Wir steigen ein kurzes Stück ab. Dann marschieren wir dicht unterhalb der steilen Felswände entlang Richtung Plattkofel. Irgendwann verliert sich hier oben der Pfad in einem Geröll-Graben und wir müssen weiter absteigen, um auf den Wanderweg Richtung Plattkofelhütte zu kommen. Die Gruppe teilt sich auf. Einige von uns geraten in eine schweißtreibenden Kraxelei über steile Steinstufen hinab, die wir stellenweise mit Seil passieren müssen. Diesmal lernen wir den Warnruf "Achtung Stein" fürchten. Anette bekommt ein sehr unschönes Tatoo auf den Oberschenkel. Zum Glück ist nicht mehr passiert. Über den Wanderweg schaffen wir es gerade noch trocken bis zur Plattkofelhütte. Hier zwingen uns Gewitter und Hagel zu einem zweiten Frühstück. Es könnte schlimmer sein. In einer Regenpause beschließen Thomas und Harald den Rückweg anzutreten. Beide wollen heute noch abreisen. Wir anderen genießen heißen Apfelstrudel und hoffen, dass die beiden unterwegs nicht vom Blitz erschlagen werden. Fazit: Was lange Weert wird endlich gut! Es lässt sich kaum verleugnen, dass Weert seine Chance auf den Oscar-Schuster-Steig schmerzlich vermisst. Als am späten Vormittag das Wetter endlich aufklart, beschließen Weert, Jens und Jürgen (unser Sepp) dann endlich, zum Gipfelkreuz aufzubrechen und zu sehen, was machbar ist. Der Rest der Gruppe tritt den Rückweg zur Demetz-Hütte an. Vorbei an Seiser Alm und Langkofel Hütte haben wir den steilen Aufstieg über die Langkofelscharte durch den pappigen Schnee vor uns. Entgegen den Unkenrufen eines älteren Wandersmannes ("da braucht ihr mindestens 3 Stunden rauf") schaffen wir es in knapp 50 Minuten. Oben begrüßen uns Jürgen und Christian. Wegen des gewaltigen Hagelsturms hatten sie die Zeit in der Hütte totschlagen müssen. Während wir uns mit heißen Getränken aufwärmen und einen tollen Blick auf den Marmolada Gletscher (3342m) genießen warten wir auf unsere drei Gipfelstürmer. Stunden später endlich der erlösende Anruf über Handy: Die drei verschnaufen gerade an der Langkofelhütte. Sie haben den Abstieg über den nur mäßig gesicherten Oscar-Schuster-Steig trotz Eis und Schnee geschafft! Am Abend werden wir trotz wenig Schlaf und den Anstrengungen des Tages noch einmal richtig munter. Berthold gibt Rotwein aus und der Koch hat offenbar seine Vorratskammer für uns geplündert. Die Anweisung zur Hüttenruhe wird an diesem Abend ausnahmensweise mal außer Kraft gesetzt. Die Wirtin nimmt es gelassen. Schließlich sind wir die einzigen Gäste auf der Demetz-Hütte - und morgen müssen wir den Heimweg antreten.

26.06.2004 Toni Demetz Hütte - Sellajoch - Chiusa/Klausen - Mainz

"Kommt, laßt uns noch eine Woche dranhängen" (Gedanke in den einzelnen Köpfen)

Keiner wollte wohl so wirklich nach dieser Woche nach Hause. Trotz widrigster Bedingungen waren dies erlebnisreiche Tage, die ein Gruppengefühl erzeugten, daß nicht selbstverständlich ist, wenn man berücksichtigt, daß wir uns zu Beginn der Woche noch alle fremd waren. Zum Glück dauert dieser Grundkurs Alpin ja noch zwei weitere ganze Jahre und die Anmeldungen zum Eiskurs im nächsten Jahr wurden bei der Verabschiedung schon festgezurrt. Und da es bis dahin ja noch so lange hin ist, trifft man sich einfach hin und wieder in den Theoriestunden von Berthold bzw. beim Klettern in der Halle oder im Morgenbachtal.

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